Praxis Paderborn:
Es tut alles weh, mir ist schlecht, schwindelig und ich kann nicht richtig schlafen… Mein Arzt findet auch nichts, ich bin aber krank und es wird auch nicht besser.
Wenn ein Patient so, oder so ähnlich berichtet, liegt der Verdacht sehr nahe, dass es sich um eine sogenannte „Somatisierungsstörung“ handelt, multiple körperliche Beschwerden, die mehrere Organsysteme betreffen und nicht ausreichend auf eine körperliche Erkrankung zurückzuführen sind.
Bis Betroffene zu mir in Behandlung kommen, vergehen in aller Regel viele Jahre mit zahlreichen Behandlungsversuchen. Die Psyche kommt meistens zuletzt… In dieser Zeit hat sich in der Regel ein spezifisches Muster des chronischen Krankheitsverhaltens manifestiert, das zur Krankheitsaufrechterhaltung beiträgt. Typische Aspekte solchen Krankheitsverhaltens können sein:
- ausgeprägte passive Veränderungserwartung, häufige Arztkontakte,
- das Suchen nach Rückversicherung bzgl. der Unbedenklichkeit der Beschwerden, Schonverhalten , Vermeidung körperlicher Belastung,
- Vermeidung von Belastungssymptomen (wie Schwitzen, Herzklopfen etc.), selbstständige, häufig auch risikoreiche Einnahme von z. T. mehreren verschiedenen Medikamenten,
- Drängen auf weitere organmedizinische Untersuchungen, um endlich die Lösung des Problems zu finden,
- Stellen eines Antrags auf Frühberentung, häufiges Beklagen u. v. m.
Für die Psychotherapie ist es hilfreich, chronisches Krankheitsverhalten als ein gelerntes Verhalten zu erkennen, das meine Patienten sich durch die langjährige Erfahrung mit dem Gesundheitswesen sowie durch Modelllernen bei wichtigen anderen Personen angeeignet haben. Aus diesem Grund ist es oftmals das erste Ziel der Behandlung, eine Evaluation des bisherigen Krankheitsverhaltens vorzunehmen, die mit dem Erkennen der Ineffektivität abschließt und zur Suche nach neuen Verhaltensmöglichkeiten und Einstellungen motivieren soll.
Als Ziel kann vorab für die Symtombehandlung formuliert werden: Suche nach Möglichkeiten der aktiven Bewältigung und Abbau des chronischen Krankheitsverhaltens. Viele Patienten haben beim Auftreten der somatoformen Symptome auch mit dem Aufbau von Schonverhalten reagiert. Dadurch hat sich zum einen ihr Lebensradius eingeengt, was die Entwicklung depressiver Symptome fördern kann; zum anderen hat sich die körperliche Belastbarkeit reduziert, wodurch Symptome wie Kurzatmigkeit, Schwitzen und körperliche Missempfindungen noch häufiger auftreten. Oftmals entstand daraus ein sich selbst verstärkender Regelkreis. Als Therapieziel lässt sich daraus ableiten:
Das übergeordnete Problem sind die „existenziellen Konzepte“, die für die entsprechenden Denkstile (ich will nicht krank sein, oder gar sterben) verantwortlich sind. Die existenziellen Konzepte halten das Krankheitsbild also aufrecht und genau da setze ich in der Behandlung an. Wir trainieren neuronale Strukturen im kognitiven Setting dahingehend, dass eine neutralisierung einsetzen kann, der Patient wieder in eine Lebenszufriedenheit kommt und somit Ziele wieder erreichbar sind.
Aufbau von körperlicher Belastbarkeit und Alternativen zum Schonverhalten als Reaktion auf somatoforme Symptome entwickeln. Mit somatoformen Störungen gehen auch spezifische Einstellungen und Bewertungsprozesse einher.
Die Betroffenen haben ein Selbstbild , das sie als „schwächlich, kränklich, wenig belastbar und benachteiligt“ zeigt. Dieses Selbstbild wird oftmals durch einen zu strengen Gesundheitsbegriff genährt. Die typische Vorstellung des Patienten ist, dass Gesundsein mit dem Fehlen jeglicher körperlicher Beschwerden oder Missempfindungen verbunden sei. Es wird nicht erkannt, dass viele körperliche Empfindungen Zeichen eines gesunden Funktionierens sind. Aus diesen Aspekten lässt sich als Ziel ableiten:
Realistische Einschätzung der Belastbarkeit, Entwicklung eines positiven Selbstbilds und eines realistischen Gesundheitsbegriffs. Personen mit somatoformen Symptomen haben häufig ein organmedizinisches Krankheitsmodell . Diesem Krankheitsverständnis entspringt oftmals die starke Fokussierung der Aufmerksamkeit auf die Beschwerden, da der Patient annimmt, seinen Körper noch genauer beobachten zu müssen, um dem Arzt das nächste Mal vielleicht die entscheidenden Informationen zur Lösung des Problems geben zu können. Mit dieser Sensibilisierung für die Wahrnehmung von Körperprozessen geht oft eine Reduktion des Interesses für die Umgebung einher. Für viele Betroffene ist das komplexe Wechselspiel zwischen psychischen Faktoren und körperlichen Empfindungen nicht nachvollziehbar.
Deshalb sind wichtige Therapieziele: Demonstration psychophysiologischer Zusammenhänge zur Entwicklung eines neuen Krankheitsverständnisses , Reduktion der Aufmerksamkeitsfokussierung auf körperliche Prozesse, Förderung des Interesses an der Wahrnehmung der Umgebung und Aufbau der Genussfähigkeit
Bei vielen Patienten, sowie oftmals in ihren Ursprungsfamilien, herrscht die Einstellung vor, dass körperliche Symptome generell Zeichen einer Krankheit sind und deshalb zum sofortigen Arztbesuch führen müssen. Der Patient sollte deshalb in der Behandlung lernen, allgemeine körperliche Missempfindungen von potenziellen Krankheitssymptomen zu differenzieren sowie die erstgenannten auch selbstständig auszuhalten.
Schließlich findet sich auch bei vielen Patienten, dass die passiven Veränderungserwartungen sich nicht nur auf den speziellen Krankheitsverlauf beziehen, sondern auch auf die allgemeine Lebensführung. Auch ist die Kommunikation von seinem Selbstbild als kranker Mensch sowie von seinen Beschwerdeschilderungen geprägt. Unter Umständen können Bedürfnisse nicht mehr direkt geäußert werden, sondern werden über den Umweg des Ausdrucks von Symptomen erreicht. Wenn solche Aspekte eine erhöhte Rückfallgefährdung mit sich bringen.
Neben diesen allgemeinen Aspekten der Behandlung von somatoformen Störungen können, abhängig von der individuellen Symptomatik und Problemanalyse, weitere Therapieziele von Relevanz sein. So ist gerade bei hypochondrischen Patienten wichtig, dass sie nicht immer wieder bei Experten Rückversicherung über die Unbedenklichkeit der Beschwerden suchen, sondern eigene „Beruhigungsstrategien“ entwickeln. Bei vielen Personen basiert die somatoforme Störung auch auf einer allgemeinen Ablehnung des eigenen Körpers, die über eine Ablehnung der Symptome hinausgeht.Das ist aber immer individuell zu sehen und fällt je nach Therapieplan aus.
Gerne berate ich Sie dazu in einem Erstgespräch.
Herzliche Grüße, Ralf Baumhöfer